„Du willst in einem Development Center ein klares Bild von Stärken und Entwicklungsfeldern von Mitarbeitenden bekommen – und gleichzeitig die Feedbackkultur im Unternehmen verbessern? Du willst innovative PE-Lösungen implementieren, in denen die Haltung „der Mensch steht im Mittelpunkt“ wirklich gelebt wird?
Die Systemische Eignungsdiagnostik bietet dir wertvolle Impulse bei der Lösung dieser Fragen. Diese Wortschöpfung bezeichnet den Ansatz, wissenschaftlich fundierte Eignungsdiagnostik mit systemischer Haltung und systemischen Methoden zu kombinieren.“ Eine wichtige systemische Grundhaltung ist Wertschätzung. Jede Sichtweise verdient Respekt und die persönlichen Grenzen aller Beteiligten werden geachtet. Das ist natürlich nichts Neues in der Eignungsdiagnostik – hierbei sollte Wertschätzung immer selbstverständlich sein. Sie führt in systemisch ausgerichteten Verfahren jedoch weit über einen respektvollen Umgang und Transparenz über Ziele und Methoden hinaus.
Ein Beispiel: In einem entwicklungsorientierten Systemischen Development Center erhalten die Teilnehmernden Feedback zu Stärken und Entwicklungsfeldern und orientieren sich auf dieser Basis: Werde ich Fach- oder Führungskraft – oder Projektleitung? Wie zeigt sich an dieser Stelle Wertschätzung im fundamentalen Sinne?
1) Wertschätzung der systemischen Selbst-Expertise:
Teilnehmende entscheiden selbst, welche Rückmeldungen für die eigene Weiterentwicklung relevant sind. Dies erhöht die Selbstverantwortung und damit die Wahrscheinlichkeit, dass Feedback wirklich umgesetzt wird.
2) Wertschätzung für die Lösungsansätze der Teilnehmenden
– auch dann, wenn sie zunächst nicht in den Rahmen der zuvor definierten Anforderungen passen. Jemand beteiligt sich nicht an einer Gruppendiskussion und hört nur zu? Ist das ein Zeichen fehlenden Ideenreichtums oder eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit? Oder ist das Verhalten vielmehr zielführend, weil in der Gruppe sowieso schon zu viel durcheinandergeredet wird? Wertschätzung bedeutet in dieser Situation, sich von der eigenen, vordefinierten Vorstellung zu lösen, wie jemand agieren sollte, um eine Aufgabe erfolgreich zu bewältigen.
3) Wertschätzung für die Perspektiven aller Beteiligten:
Es sind nicht die Beobachtenden oder Beratenden, deren Sichtweise allein maßgeblich ist – es werden Peers ebenso mit eingebunden wie die Teilnehmenden selbst. Eine Feedbacksession muss übrigens nicht notwendigerweise im Konsens enden: Unterschiedliche Perspektiven dürfen auch als solche stehen bleiben.
Durch wertschätzende Atmosphäre die Feedbackkultur verbessern
Ich erlebe in meinen beruflichen Alltag überwiegend Beobachtende, die versuchen, bestmöglich allen diagnostischen Aufgaben gerecht zu werden: beispielsweise Anforderungen der Übungen erfassen, beobachtetes Verhalten den jeweiligen Kompetenzen zuordnen und gleichzeitig Beobachtungsfehler vermeiden. Diese Aufgabenvielfalt ist für unerfahrene Beobachtende teilweise auch überfordernd. Gerade situatives Feedback geben ist für Nicht-Profis – trotz sorgfältiger Schulung – oftmals eine Herausforderung. Da sind Formulierungen schnell alltagssprachlich und generalisierend: „Sie sind eher so eine stille Person“, „Sie kommen für mich da etwas direktiv rüber“ oder „Das war insgesamt eine runde Sache, aber…“. Ernten Fach-Beobachtende für solche Formulierungen vorschnell Stirnrunzeln, dann ziehen sie sich meiner Erfahrung nach manchmal aus ihrer Rolle als Feedbackgebende zurück und übergeben die Verantwortung externen oder internen Moderator:innen: „Ich überlasse Ihnen mal das Feedbackgeben. Sie machen das so gut“.
Eine wertschätzende Atmosphäre wirkt dieser Reaktion entgegen und bietet den sicheren Raum, Feedbackgeben zu lernen. Besonders wertvoll sind Verfahren, in denen sich Beobachtende ebenso wie interne und externe Moderatoren:innen untereinander Rückmeldung zu ihrem Feedbackverhalten geben. In Systemischen Development Centern werden zudem Teilnehmende und Beobachtende gleichermaßen im Feedbackgeben geschult. Sie einigen sich darauf, Fehler machen zu dürfen und sich eine positive Absicht zu unterstellen – auch wenn eine Formulierung mal so richtig danebengeht. Mit der Bereitschaft zu lernen wird die Feedback-Kompetenz im Unternehmen sukzessive verbessert.
Der Mensch im Mittelpunkt: die Wertschätzungsdusche
Die Wertschätzungsdusche ist eine Methode, die unter anderem in der Teamentwicklung eingesetzt wird: Eine Person hört zu, während ihr Andere ausschließlich Positives zurückmelden. In systemisch ausgerichteten Development Center-Verfahren liegen für diesen Zweck Umschläge aus, in die sich alle am Verfahren Beteiligten gegenseitig positive Botschaften „einwerfen“. Virtuell ist dies natürlich auch möglich, z.B. mit einem personalisierten Miro-Board. Die Instruktion lautet: „Schreib etwas, was dem anderen ein Lächeln auf‘s Gesicht zaubert“. Alle schreiben sich gegenseitig auf kleinen Karten positive Botschaften oder auch einen Dank. „Danke, für das Gespräch heute Mittag!“, „Deine Flipcharts sind super“ oder „Es macht Spaß, mit Dir zu arbeiten.“ Der Inhalt ist anonym und wird auch nicht geteilt.
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Meisten dadurch gestärkt nach Hause gehen. Ausgehend von diesem positiven Erlebnis einer Wertschätzungsdusche wird oftmals im Alltag mehr bekräftigendes Lob und Dank ausgesprochen. Ein weiterer Vorteil: Die Teilnehmenden nehmen die wertschätzende Atmosphäre des Development Centers wahr und teilen dies mit Anderen. Die positive Resonanz spricht sich im Unternehmen herum. Die nächste Gruppe von Teilnehmenden kommt erfahrungsgemäß entspannter in das Verfahren – dies wirkt sich vorteilhaft auf die Eignungsdiagnostik aus: Menschen können in einer entspannten Atmosphäre besser ihr ganzes Potenzial abrufen – von analytischen Fähigkeiten bis hin zu Veränderungskompetenz, als wenn die Situation primär belastend erlebt wird – dann lässt sich in erster Linie nur die Stressresistenz beurteilen.
Zwischenfazit: Eignungsdiagnostik kann so viel mehr sein als „nur“ Erfassung von Kompetenzen einzelner Menschen und Einschätzung ihrer Passung zu beruflichen Anforderungen. Sie schafft Kultur.
Systemische Eignungsdiagnostik bedeutet nicht „heile Welt“
Wichtig anzumerken ist im Hinblick auf das Beispiel der Wertschätzungsdusche: Es geht in der Systemischen Eignungsdiagnostik nicht um eine technizistische Anwendung einzelner systemischer Methoden („Methodengerippe“). Relevant ist die Verinnerlichung einer respektvollen systemischen Grundhaltung. Im Umkehrschluss impliziert dies übrigens keinesfalls, dass nur systemisch ausgerichtete eignungsdiagnostische Verfahren wertschätzend sind – Achtung vor „Beratungsansatz-Überheblichkeit“.
Wertschätzung in eignungsdiagnostischen Verfahren bedeutet auch nicht, Feedback „weichzuspülen“ und/oder eine kollektive „Wir-haben-uns-alle-lieb-Haltung“ einzunehmen. Im Gegenteil: Wirklicher Respekt für andere Perspektiven kann sehr unbequem sein. Es geht auch immer darum, die eigene Weltsicht und die eigenen „Eh-Klar‘s“ zu hinterfragen – und bereit zu sein, eignungsdiagnostische Prinzipien zu reflektieren und, wo sinnvoll, zu erweitern.
Natürlich wirft die Idee einer Systemischen Eignungsdiagnostik auch viele Fragen auf: Verwässert eine solche Wertschätzungsdusche ein zuvor gegebenes anforderungsbezogenes und kompetenzbasiertes Feedback? Was ist, wenn sich die Beteiligten nicht auf dieses offene Format eines Development Centers einstellen können und wollen? Muss man nicht klar sagen, dass jemand für eine Rolle nicht geeignet ist?
Mir liegt es am Herzen, die Systemische Eignungsdiagnostik weiter zu entwickeln und eine Diskussion mit Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen über deren Chancen und Grenzen anzuregen.
Wenn auch Du Interesse am Thema hast, melde Dich gern zu meinem Online-Impuls mit abschließendem Austausch an:
Wie können systemische Haltung und Methoden die Eignungsdiagnostik in der Personalentwicklung bereichern? Im Webinar gebe ich anhand konkreter Beispiele alltagsnahe und wissenschaftlich fundierte Einblicke in die systemische Eignungsdiagnostik.