Selbst entscheiden können, wer einen bei der weiteren Entwicklung begleiten soll – als Coach, Führungskraft oder Mentor:in? Und eigene Fähigkeiten und Kompetenzen in einer Rolle einbringen, daran wachsen und Veränderungen in der Organisation anstoßen können? Klingt gut, aber ist dies in der Realität auch umsetzbar?
Mit genau diesen Fragen beschäftigte sich die ITB Consulting im Rahmen einer organisationalen Neuausrichtung: Auslöser dafür waren, dass den Mitarbeiter:innen Entwicklungsperspektiven fehlten und die Führungsebene sich mehr Freiräume für strategische Fragen im Tagesgeschäft wünschte.
Unsere Überzeugung dahinter: Wenn Mitarbeitende einen größeren Handlungsspielraum ausschöpfen können, führt dies zu einem wirksamen, unternehmerisch klar ausgerichteten Arbeiten plus mehr Zufriedenheit.
Auch wenn wir als Beratungsunternehmen 50 Jahre Erfahrung und Kompetenz in der Begleitung von diagnostischen Projekten und den damit verbundenen Veränderungsprozessen besitzen, war schnell klar: es braucht einen frischen Blick von außen.
St. Oberholz Consulting als New Work-Pioniere brachten genau diesen frischen Blick und die richtige kulturelle Passung mit, um die Neuausrichtung der ITB zu unterstützen.
2005 gegründet, war das St. Oberholz am Berliner Rosenthaler Platz das erste Coworking-Café Europas. Entstanden ist ein kreativer Knotenpunkt, der inzwischen international bekannt ist und als Meilenstein in der Geschichte des Coworkings in Europa gilt.
Darüber hinaus berät St. Oberholz Unternehmen bei der Entwicklung individueller Konzepte für wirksame und erfolgreiche Zusammenarbeit, immer mit dem Anspruch: Redefining New & Work. Das „Consulting”-Team aus Organisationsentwickler:innen, Kreativen und Spezialist:innen aus den Bereichen Bricks, Bytes und Behaviour, begleitet Unternehmen sowohl bei der maßgeschneiderten Interpretation des Buzzwords „New Work“ als auch bei der Entwicklung neuer Konzepte für wirksame Arbeitskultur und aktivitätsbasiertes Arbeiten.
Anke Terörde-Wilde, Gesellschafterin und Verantwortliche für die Organisationsentwicklung bei der ITB, beschreibt die Stationen und Herausforderungen der gemeinsamen Reise und erläutert, worauf beim Weg hin zu mehr Selbstorganisation besonders zu achten ist. Ein Interview dazu findet ihr nun auch auf unserem Blog.
Anke, woher kam der Handlungsbedarf, die Art der Zusammenarbeit bei ITB umzustellen? Was waren Eure ersten Schritte?
Wir wollen durch die Implementierung neuer Rollen Möglichkeiten schaffen, die eigenen Talente zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Außerdem wollten wir mehr Klarheit, zum Beispiel dahingehend, wer bei der ITB welche Entscheidungsbefugnisse hat und der Führungsebene mehr Freiräume für strategische Themen einräumen.
Dazu muss man sagen, dass wir nicht sofort mit dem Ziel einer am Ende rollenbasierten Organisation gestartet sind.
Wir haben zusammen mit St. Oberholz Consulting geschaut, welche Art des Arbeitens zu unseren Zielen für die Organisationsentwicklung passt und was auch bei der ITB insgesamt gut funktionieren könnte. Also haben wir anfangs die Probleme identifiziert, ein Zielbild erstellt und auf dieser Grundlage hinterfragt, wie unser internes “Betriebssystem” besser werden kann. Danach erst haben wir uns mit Rollen als Teil einer verstärkten Selbstorganisation innerhalb der Führungsebene auseinandergesetzt und sie für uns „verprobt“ – der eigentliche Rollout kam erst einige Zeit später.
Was bedeutet Selbstorganisation für euch?
Für uns bedeutet Selbstorganisation im Kontext der Neuordnung unseres organisationalen „Betriebssystems“ primär die Übergabe von Verantwortung. Ein Beispiel dafür sind die so genannten “People Lead”-Rollen, also Führungsrollen, in denen es darum geht, die zu begleitenden Kollegen und Kolleginnen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Diese Rollen haben wir neu geschaffen und damit Aufgaben, die vorher bei uns in der Geschäftsleitung lagen, abgegeben. Das Besondere daran ist, dass sich die Mitarbeitenden bei der ITB ihren “People Lead” aussuchen konnten, wodurch wir direkt schrittweise Selbstorganisation umgesetzt haben.
Mit Blick auf eure Erfahrung: Für wen eignet sich die Selbstorganisation – und für wen nicht?
Ich glaube, ein Unternehmen muss eine passende Größe dafür haben. Außerdem ist es wichtig, dass Selbstorganisation innerhalb eines bestimmten Rahmens erfolgt. Das Unternehmen braucht natürlich weiterhin Steuerung und Orientierung. Es muss zudem auch ein Handlungsdruck und ein Ziel gegeben sein – und natürlich Offenheit. Und es ist wichtig, dass die Organisation stabil ist und man sich im Klaren darüber ist, dass der Prozess Schritt für Schritt erfolgen wird. Selbstorganisation geht mit Selbstverantwortung einher. Und deshalb ist vor allem Vertrauen ganz wichtig
Denn wenn Mitarbeitende einen größeren Handlungsspielraum ausschöpfen können, führt dies zu einem wirksamen, unternehmerisch klar ausgerichteten Arbeiten plus mehr Zufriedenheit.
Was waren besondere Herausforderungen? Was läuft heute besser?
Die Offenheit und Bereitschaft, sich auf den Prozess einzustellen, war insgesamt sehr groß, meiner Meinung nach hatten wir deshalb keine großen Stolpersteine. Tatsächlich war es eher eine Herausforderung, Aufgaben loszulassen. Klar, gibt es Tätigkeiten, die man früher gerne gemacht hat, die einem Spaß gemacht haben. Diese dann aufzugeben, war schon schwer. Aber gleichzeitig war es gut, Entscheidungsbefugnisse neu zu verteilen.
Zudem hatten wir vorher eine Teamstruktur, das Team war also die identitätsstiftende Einheit, der Heimathafen für die Mitarbeitenden. Seit der Einführung der People Lead-Rolle gibt es diese kleineren Teams nun so nicht mehr, denn die People-Lead-Beziehung ist eine 1:1-Beziehung zwischen dem People Lead und der zu begleitenden Person. Momentan haben wir 15 Personen mit einer solchen Rolle bei ITB. In der neuen Struktur sind die Geschäftsfelder gewissermaßen die Teams. Manche Kollegen und Kolleginnen vermissen – vermutlich auch verstärkt durch die coronabedingte Arbeit allein im Homeoffice – die ursprünglichen, kleinen Teams als identitätsstiftende Einheit. Derzeit stellen wir uns also die Frage, wie wir in der neuen Struktur auch geschäftsfeldübergreifend gut miteinander in Kontakt kommen können.
Dennoch: es hat sich für uns in jedem Fall gelohnt. Wir haben heute weniger Reibungsverluste im Unternehmen, da wir mehr Klarheit, mehr Freiräume in der Geschäftsleitung und neue Möglichkeiten für die Entwicklung der Mitarbeitenden geschaffen haben. Außerdem sagen uns Mitarbeitende, dass sie durch die neuen Aufgaben und mehr Verantwortung motiviert werden. Und gleichzeitig sind wir natürlich immer noch auf dem Weg.
Wie habt ihr die Rollen definiert und was ist dabei besonders wichtig?
Wir haben in den Rollen Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gebündelt, die inhaltlich und organisatorisch zusammenhängen. Dazu gehören dann auch Erwartungen an den Rolleninhaber oder die Rolleninhaberin – also was sind die Aufgaben und welches Verhalten soll gezeigt werden?
Die Rollen sind flexibel und personenunabhängig. Dabei ist es wichtig, die Rollen von Funktionen abzugrenzen. Funktionen können abgeschafft werden, Rollen hingegen können sich verändern und die zuständige Person kann eine neue Rolle bekommen. Rollen werden dabei nicht zugewiesen, sondern wir arbeiten mit dem Pull-Prinzip, d.h. man kann sich Rollen nehmen – und diese sollen von den Inhaber:innen der Rolle auch bewusst individuell ausgestaltet werden. Wichtig hierbei im Sinne der Selbstorganisation ist, dass man Lust auf diese Rolle hat und diese im Tagesgeschäft auch gut gestalten kann. Wir legen hierbei den Fokus auf das „Stärken stärken“ – d.h. durch die individuelle Ausgestaltung der Rolle entstehen viele neue Ideen und Impulse. Eine Rolle kann man sich übrigens auch teilen, so dass die Rolleninhabenden sich über ihre Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können.
Wichtig bei der Rollenvergabe sind Kommunikation und Transparenz. Alle Mitarbeitenden im Unternehmen können zudem neue Rollen vorschlagen – so schaffen wir aktuell zum Beispiel eine Rolle, die sich speziell um Zusammenarbeit und Teambuilding kümmert.
Kommunikation spielte also bei der Einführung eine besondere Rolle?
Der komplette Prozess lebte und lebt von der Kommunikation. Diese muss nicht nur klar und transparent sein, sondern auch mit Partizipation aller Kollegen und Kolleginnen gelebt werden. Sehr geholfen hat uns dabei die Maxime „Good-enough-to-Go“. Das heißt: Es muss nicht alles perfekt sein, wir probieren es jetzt erst einmal aus und es kann natürlich immer auch mal sein, dass wir in die falsche Richtung gehen. Die Tatsache, dass bei unserer Umstellung unseres „Betriebssystems“ nichts in Stein gemeißelt war, hat dem Prozess eine gewisse Leichtigkeit verschafft.
Außerdem haben wir nochmal klargemacht, dass die klassischen Funktionen im Unternehmen bleiben und die Einführung der Rollen neue Möglichkeiten für alle bietet. Somit war die Angst vor Veränderungen wohl auch nicht so groß.
Welche Rollen habt ihr aktuell eingeführt?
Wir haben zum Beispiel die Rolle der Geschäftsfeld-Owner, deren Inhaber oder Inhaberinnen für die strategische Entwicklung des jeweiligen Geschäftsfelds – bei uns also: HR-Beratung, digitale Produkte oder Hochschul-Lösungen – zuständig sind.
Dann gibt es die Rollen Support Service Owner. Das sind Rollen, welche den Wertschöpfungsprozess unterstützen, wie zum Beispiel für Marketing, Controlling, Wissenschaft oder Digitalisierung.
Darüber hinaus gibt es die Rolle der People Leads. Bei den People Lead-Rollen zeigt sich nochmal sehr gut, dass Rollen hierarchieunabhängig übernommen werden können, denn es kann bei uns grundsätzlich jeder – unabhängig von einer Ebene – diese anspruchsvolle Rolle übernehmen.
Wie verändert sich Führung in einer rollenbasierten Organisation?
Durch die Umstellung auf ein rollenbasiertes Organisationsmodell haben wir nun im Unternehmen mehr Klarheit, welche Führungsrollen wo angesiedelt sind. Denn Führung ist nicht gleich Führung. Zum Beispiel: In der Geschäftsleitung sitzt die strategische Führung, hier werden auch sämtliche finanzielle Entscheidungen getroffen. In den Geschäftsfeldern wird über die Ausrichtung eben dieser Geschäftsfelder entschieden und die People Leads kümmern sich um die persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen.
Was hat sich durch die Veränderung Eurer Struktur für die Zusammenarbeit mit Euren Kund:innen verändert?
Ein Vorteil hebe ich mal hervor: Dadurch, dass wir quasi „am eigenen Leib“ erfahren haben, was es bedeutet, (Führungs-)Rollen zu verändern, können wir besser nachvollziehen, wie unsere Kund:innen eine Umstellung hin zu agileren Strukturen erleben. Aus diagnostischer Perspektive verstehen wir zudem nun gut, welche Kompetenzen der Einzelne benötigt, um einen solchen Transformationsprozess erfolgreich zu meistern.
Was waren die Do´s & Dont´s auf eurer Reise?
Do’s waren auf jeden Fall, dass wir den Prozess bei uns Führungskräften innerhalb der Geschäftsleitung begonnen haben, bevor wir ihn auf die komplette Organisation ausgeweitet haben. Man muss miteinander kommunizieren, Bedenken sammeln, eigene Unsicherheiten eingestehen und Unklarheiten ansprechen. Das Erfahren im eigenen Alltag, an der eigenen Rolle und die damit gemachte Lernerfahrung (auch emotional) hat Glaubwürdigkeit erzeugt. Außerdem ist Zeit ein wichtiger Faktor. So ein Prozess dauert. Wenn es mal gehakt hat, dann hat uns auch geholfen, uns bewusst zu machen, woher der ursprüngliche Handlungsdruck kam und was unser Ziel ist. Und die Tatsache, dass der Prozess mal durch uns intern und mal durch St. Oberholz Consulting extern moderiert wurde, hat uns auch sehr geholfen.
Dont’s sind ganz klar, dass man von der ganzen Umstellung zu viel erwartet. Auch kann man nicht allen Erwartungen gerecht werden. Außerdem sollte man darauf achten, dass man die alte Struktur nicht einfach nur mit neuen “moderneren” Begriffen abbildet. Zudem darf man nicht in die „Eh-Klar-Falle“ tappen: Überlegungen, die für diejenigen, die tief im Prozess stecken, ganz klar sind, können bei Kollegen und Kolleginnen, die erstmals von einer Idee hören, dann doch mehr Fragen aufwerfen als erwartet. Und schließlich sollte man aus alten Routinen aussteigen und auch offen dafür zu sein, wenn die neuen Rolleninhabenden ihre Rolle ganz anders ausgestalten als man es selbst gemacht hätte.
Wie geht es jetzt für euch weiter?
Wenn man sich Organisationsentwicklung beschäftigt, weiß man natürlich, dass ein solcher Prozess im klassischen Sinne nicht als abgeschlossen definiert werden kann. Wir arbeiten kontinuierlich an uns – an unseren Rollen und an unserem Selbstverständnis der Organisation. Braucht es vielleicht noch eine klarere Definition einer Rolle? Haben alle People Leads und Service Support Owner das, was sie zur Erfüllung ihrer Rolle brauchen? Oder brauchen wir neue Rollen? So haben wir gerade auf Vorschlag der Mitarbeitenden die Rolle einer „Event-Managerin“ etabliert, die sich um Formate für den informellen Austausch untereinander kümmert.
Auch wenn wir auf unserem Weg immer wieder mal innehalten und schauen, wo wir hinwollen und bei Bedarf nachjustieren, steht für uns fest: die Richtung stimmt!
Das Interview führte Johannes Baier im Auftrag von St. Oberholz. Sie lesen hier im Blog die durch ITB redigierte Fassung.