Das Erwerben oder Verbessern von Fremdsprachenkenntnissen ist wichtig für internationale Studierende, Geflüchtete, Migrant:innen und Expatriates. Bei internationalen Fachkräften legen Recruiter:innen daher zunehmend Wert auf die Sprachlernfähigkeit. Denn viele, die fachlich geeignet wären, haben noch keine ausreichenden Sprachkenntnisse und müssen diese erst erwerben. Abhängig von der angestrebten Tätigkeit hängt der Erfolg aller Beteiligten stark davon ab, ob in kurzer Zeit ein Sprachniveau von B1, B2 oder C1 erreicht wird.
Vier Faktoren bestimmen die Erfolgswahrscheinlichkeit, eine Sprache schnell zu erlernen:
1. Rahmenbedingungen
Zu den Rahmenbedingungen gehören vor allem die verfügbare Lernzeit und die Art und Weise, wie gelernt wird. Ohne ein hohes Zeitinvestment kann keine Fremdsprache erlernt werden. Es muss im Alltag genügend Zeit zum Lernen zur Verfügung stehen. Zudem ist die Qualität der Sprachausbildung wichtig: Wer gute Lehrer:innen und gutes Lernmaterial hat, dem gelingt das Lernen besser. Es ist also wichtig, auf gute Lehrende, ein schlüssiges Unterrichtskonzept sowie gutes Lernmaterial zu achten.
2. Motivation
Nur wer wirklich motiviert ist, kann kritische Situationen meistern (zum Beispiel Rückschläge, Zweifel, Zeitmangel, Lustlosigkeit, das Gefühl auf der Stelle zu treten). Zudem braucht man eine hohe Motivation, um sich auch im Alltag und über einen längeren Zeitraum immer wieder zum Lernen aufzuraffen.
3. Lernerfahrung
Wer schon einmal mit Erfolg eine Fremdsprache gelernt hat, der weiß, welche Lernmethoden bei ihm/ihr funktionieren. Auch kann man für sich selbst das Lernen organisieren und kennt entsprechende Lerntechniken (z.B. wie man Vokalen lernt oder das Konjugieren von Verben übt). Darüber hinaus sind die genannten kritischen Situationen mit entsprechender Erfahrung meist besser zu bewältigen.
4. Sprachlernfähigkeit
Menschen unterscheiden sich in ihren kognitiven Fähigkeiten, und das betrifft auch die Begabung, Fremdsprachen zu erlernen. Diese Sprachlernfähigkeit ist ein Teilbereich der Intelligenz, aber nicht identisch mit dieser. Es gibt Menschen, denen es trotz einer guten Grundintelligenz und hoher Motivation nicht gelingt, eine Fremdsprache zu lernen. Anderen Personen scheint eine neue Sprache einfach zuzufliegen.
Wie kann man die Erfolgsfaktoren im internationalen Recruiting berücksichtigen?
Die ersten Faktoren, also Rahmenbedingungen, Motivation und Lernerfahrung, lassen sich gut mit strukturierten Interviews erfassen, ggf. ergänzt durch Fragebögen.
Fallbeispiel: Auswahl mexikanische Pflegekräfte
Ein mexikanischer Kooperationspartner der ITB, das Centro Cultural Alemán de San Luis Potosi, rekrutiert mexikanische Pflegekräfte für deutsche Kliniken und vermittelt ihnen erfolgreich Kenntnisse der deutschen Sprache. Beim Auswahlverfahren wird ein strukturiertes Interview verwendet, in dem Rahmenbedingungen des Lernens, Motivation und bisherige Lernerfahrungen erhoben werden.
Die Ergebnisse dieser Interviews sagen vorher, welche Ergebnisse die Teilnehmenden nach einigen Monaten in den Deutschprüfungen A1 und A2 der Sprachschule sowie in Prüfung des Goethe-Instituts erzielen. Die Korrelationen lagen zwischen r = .22 (Goethe A1) und r =.55 (Goethe A2). Dies ist ein ausgesprochen gutes Ergebnis für die Vorhersage von Lernerfolg im Längsschnitt.
Wie kann man Sprachlernfähigkeit erfassen?
Die Sprachlernfähigkeit lässt sich mit psychometrischen Tests erfassen. Hier könnten allgemeine Intelligenztests verwendet werden. Diese haben allerdings den Nachteil, dass sie in der Regel für Muttersprachler:innen konzipiert sind. Die Verbalteile solcher Intelligenztests erfordern neben Sprachbegabung auch Kenntnisse der Testsprache. Teilnehmende können ihre Fähigkeiten nur dann zeigen, wenn sie die Testsprache gut beherrschen. Wenn schon die Instruktionen und Aufgabenstellungen nicht verstanden werden, kann die Messung der Fähigkeiten nicht gelingen. Mit klassischen Intelligenztests kann die Sprachlernfähigkeit somit nur eingeschränkt erfasst werden.
Als Alternative bieten sich nonverbale Intelligenztests oder die nonverbalen Teile allgemeiner Intelligenztests an, beispielsweise Matrizen, mit denen figurale Intelligenz gemessen wird. Diese figuralen Teile sind ein guter Prädiktor für allgemeine kognitive Fähigkeiten und können somit einen guten Beitrag zur Vorhersage des Sprachlernerfolgs leisten. Ihr Nachteil ist allerdings, dass sie verbale Fähigkeiten nicht direkt erfassen, und genau diese sind ja besonders wichtig für den Sprachlernerfolg.
Die Lösung besteht in der Verwendung spezieller Sprachlernfähigkeitstests, bei denen nur Grundkenntnisse der Testsprache erforderlich sind.
Sprachlernfähigkeit erfassen mit dem Sprachlernfähigkeitstest SLFT
Der SLFT ist ein Instrument zur Vorhersage des Erfolgs beim Erwerben oder Verbessern von Fremdsprachenkenntnissen.
In einer fiktiven Fremdsprache werden einfache Ausdrücke und Sätze vorgegeben, zusammen mit einer Übersetzung in die Testsprache. Die Regeln der Sprache sollten erkannt werden, so dass weitere Ausdrücke und Sätze in der fiktiven Sprache gebildet werden können. Im SLFT müssen die Übersetzung von Begriffen aus der Phantasiesprache und zusätzlich Regeln der Syntax, Konjugation und Deklination beachtet und umgesetzt werden. Diese Regeln sollen im Laufe des Tests in immer neuen Aufgaben erkannt werden.
Eine Stärke des Tests ist, dass kein Vorwissen von vorher gelernten Sprachen abgerufen werden kann und somit der Einfluss bereits beherrschter Sprachen auf die Testergebnisse gering ist. Der Test soll die Fähigkeit des Probanden messen, sich komplexe Regeln einer unbekannten Sprache anzueignen und diese verlässlich auf neues sprachliches Material anzuwenden.
Beispielaufgabe
Fiktive Sprache:
- Koloa = ich liege
- KolOe = er lag
- Satoe = er steht
Frage: Was heißt „ich stand“ in der fremden Sprache?
- Satoa
- KolOa
- Satoe
- SatOa
Das Konzept wurde bereits in den 1970er Jahren von einem Gründer des ITB (damals: Institut für Test- und Begabungsforschung), Günter Trost, entwickelt. Es wurde später in Studierfähigkeitstests eingesetzt, beispielsweise im Test für Ausländische Studierende TestAS und im Zulassungstest für Ausländische Studierende der Universität St. Gallen.
Evaluation des Sprachlernfähigkeitstests SLFT
Der SLFT wird nun zunehmend bei der internationalen Rekrutierung von Fach- und Führungskräften eingesetzt. In zwei wissenschaftlichen Studien haben wir die Vorhersagekraft des SLFT untersucht:
- Rekrutierung von Ärzten für deutsche Kliniken: German Doctor Exchange (heute: Allgeier Experts Medical) führte Auswahlverfahren für russische Ärztinnen und Ärzte durch, die an deutsche Kliniken vermittelt werden. Die Bewerber:innen absolvierten ein Assessment-Center, in dem der SLFT ein Bestandteil war. Die Ausgewählten hatten zu Beginn des Vorbereitungsprogramms keine oder nur rudimentäre Deutschkenntnisse. Erfolgskriterien für den Sprachlernerfolg waren das Bestehen einer B2-Prüfung, die Punktzahl in der TELC-Prüfung, eine B2-Schulnote sowie das Bestehen der C1-Prüfung (fachkundige Sprachkenntnisse). Die Korrelationen zwischen dem SLFT und diesen Kriterien liegen zwischen r = .32 (C1-Niveau, N=122) und r = .58 (TELC-Punktzahl, N=42). Der SLFT sagt somit den Sprachlernerfolg gut vorher.
- Rekrutierung mexikanischer Pflegekräfte: Seit 2023 gibt es eine SLF-Version mit Spanisch als Testsprache. Die Tests werden mit lateinamerikanischen Pflegekräften in der Sprachschule Institut Cultural Alemán de San Luis Potosi in Mexiko durchgeführt. Hier lernen etwa 30 Pflegekräfte Deutsch, um später an deutschen Kliniken zu arbeiten. Die Testergebnisse sagen gut vorher, welche Ergebnisse in Deutschprüfungen A1 und A2 der Sprachschule sowie in Goethe-Prüfungen für A1 und A2 erzielt werden. Die Korrelationen zwischen Testergebnissen und späteren Prüfungsleistungen liegen zwischen r = .32 (Goethe A1) und r =.48 (Schule A2). Die Testergebnisse erfassen zudem etwas anderes als die ebenfalls durchgeführten Interviews: Die gemeinsame Prognose durch Test und Interview (nach z-Standardisierung und 1:1-Gewichtung) ist besser als die Prognose durch nur ein Kriterium alleine und liegt zwischen r = .36 (Goethe A1) und r =.64 (Goethe A2).
Fazit: Sprachlernerfolg ist gut prognostizierbar
Bei der Rekrutierung ausländischer Fach- und Führungskräfte, die noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, sollte sichergestellt werden, dass sie sich in kurzer Zeit die benötigen Deutschkenntnisse aneignen können.
Der Erfolg beim Deutschlernen hängt von Rahmenbedingungen, Motivation und Lerngeschichte ab. Diese lassen sich mit strukturierten Interviews, ggf. ergänzt durch Fragebogen, erfassen. Die wichtige Sprachlernfähigkeit kann mit psychometrischen Tests wie dem SLFT gemessen werden.